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AutorenbildRoland Braun

2./5. Teil: Vom Original zur Kopie – wieso einem Erziehung das Leben...

Innere-Autonomie

Teil 1

Psychische Gewalt – vom Original zur Kopie /Wieso einem Erziehung das Leben als Original verwehrt

Der Start ins Leben als Original – ein Irrtum Die Geburt eines Kindes ist wunderschön und hat etwas Pures, Unschuldiges und Weiches an sich. Als Elternteil empfindet man das dringende Bedürfnis, dieses Wesen zu schützen, lieben und aufzuziehen. Ein Baby, frisch geboren und in seiner neuen Umgebung noch ganz fremd, sehnt sich hingegen nur nach zwei Dingen: nach Bindung und Wachstum. Diese zwei Wünsche möchte es als Zeichen von Verbundenheit und Freiheit zugleich durch die Beziehung zu seinen Eltern erfüllt bekommen. Es verlässt sich mit seinen Instinkten darauf, dass diese Menschen ihn ohne jegliche Forderungen aufnehmen und als Teil des eigenen Lebens betrachten. Außerdem nimmt es an, dass die Welt da draußen die Möglichkeit für das Neugeborene bereit hält, zu wachsen und sich zu einem Original seiner selbst zu entfalten.

Dennoch wird es auf eine Welt stoßen, in der die eigenen Bedürfnisse nicht kompatibel sind, da es Teil unserer aller Erziehung und der Entwicklung unserer „Persönlichkeit” ist, ganz natürliche Bedürfnisse zu unterdrücken. Denn die Bedürfnisse, Vorstellungen oder Sichtweisen der Eltern, die als nächste Bezugspersonen im direkten Einfluss zum Kind stehen, verlangen nach einer Anpassung des Kindes. Es entwickelt sich letztendlich nicht zu einem Original, sondern zu einer Kopie zweier Welten. Wie dies zustande kommt und wieso wir alle ein Part dieses Kreislaufes sind, erfahren Sie in diesem Artikel.

Vorab möchte ich betonen, dass die nachfolgenden Darstellungen auf Erfahrungen aus unserer Kindheit beruht. Eigene Beobachtungen haben gezeigt, dass sich gewisse Verhaltenszüge dann entwickeln, wenn das Kind dies von den Eltern – oft unbewusst – vermittelt bekommt. Die darauffolgenden Verhaltenszüge nehmen wir unser Leben lang mit und reichen sie meistens an die nachfolgende Generation weiter.

Reglementierungen wie Stubenarrest oder sogar Schläge als angebliche Erziehungsmaßnahme für vermeintliches Fehlverhalten habe auch ich erlebt und ist heute glücklicherweise strafbar – was nicht bedeutet, dass es nicht mehr vorkommt! Doch was immer noch als völlige Normalität gesehen wird, sind Aussagen wie „Wir machen das, wenn du (wieder) lieb bist…”, um ein gewisses Verhalten bei Kindern zu fordern. So etwas wirkt sich ebenso auf die emotionale Welt eines Kindes aus. Dies ist psychische Gewalt. Mein allgemeines Ziel bei dieser „Artikelserie” ist es, zu erklären, woher Konditionierungen unserer Bedürfnisse und unseres Verhaltens kommen und wie solche Konditionierungen erfolgreich rückgängig gemacht werden können. Anstatt sich über Ungerechtigkeiten zu beschweren, sollte man das Problem erkennen, bei der Wurzel packen und lösen. Sollte der nachfolgende Text also bei Ihnen Ärger, Empörung, Scham oder Unverständnis hervorrufen, ist dies nachvollziehbar, aber nicht die Intention des Artikels. Der Kreislauf entsteht Kommen wir also zunächst zur Frage, wie ein Original zu einer Kopie wird. Oder besser gesagt, wie ein Baby, mitsamt seinen persönlichen Bedürfnissen, dazu umschwingt, diese zu unterdrücken und sich an die seiner Eltern anpasst.

Alles fängt eigentlich schon vor der Geburt an, denn ab der 3. Schwangerschaftswoche wächst das Gehirn des noch ungeborenen Kindes. Bereits ab dem 4. Monat besitzt es mehr als hundert Milliarden Nervenzellen und umfasst zu diesem Zeitpunkt mehr als die Hälfte der gesamten Körpergröße des Embryos. Die Gehirnentwicklung des Babys ist unglaublich schnell!

Kinder erleben die Welt zu Beginn mit all ihren Sinnen. Die Gehirnaktivität bei einem Dreijährigen ist deswegen dreimal so hoch wie die eines Erwachsenen, da es ab Beginn seines ersten Atemzuges Emotionen und Eindrücke in hoher Geschwindigkeit aufnimmt und verarbeitet.[1] Besonders die negativen und auch positiven Emotionen wirken sich auf die Gehirnstruktur aus und formen unser Gefühlsleben enorm in den ersten drei Lebensjahren. „Schlechte Erfahrungen sind da wie Narben“, sagt Eliot, eine Professorin für Neurowissenschaften. „Für die Entwicklung unseres Gefühlslebens sind die ersten drei Jahre entscheidend, wobei das erste Jahr besonders wichtig ist.“[2]

In diesem Zeitraum lernt das Baby kennen, was es bedeutet, Liebe entgegengebracht zu bekommen, Freude zu spüren, Gutes zu empfinden. Gleichzeitig können sich ungewollte, unbewusste Handlungen oder Formulierungen der Eltern in Form von negativen Erfahrungen auf die Gefühlswelt des Kindes auswirken. Wenn das Kind noch sehr jung ist, kommuniziert es nonverbal mit seinen Bezugspersonen und interpretiert auf Grundlage dieser Signale alles, was um es herum so vorsichgeht. Oftmals treten Missverständnisse und falsche Interpretationen der Signale von sowohl der Seite der Eltern als auch des Baby auf. Daraufhin lernt das Baby zwischen sich und anderen zu unterscheiden, es kann also auch differenzieren, dass es neben seinem „Kern-Ich-Modell”, welches persönliche Gefühle und Bedürfnisse beinhaltet, auch das „Ich-Modell” der Eltern gibt. Um lebensnotwendige Quellen wie Nahrung und Zuneigung zu erhalten, kopiert das Baby mit der Zeit das elterliche Aktions- und Reaktionsmuster. Beide „Ich-Modelle” verschmelzen dann praktisch zum „Erziehungs-Ich-Modell” Wenn das Kind später die Sprache erlernt, wird es ebenso den Wortlaut der Eltern übernehmen.Die Anpassung beginnt ab der Geburt, um durch bestimmtes Auftreten die Grundbedürfnisse einzufordern.

Es muss dabei unbedingt berücksichtigt werden, dass die Eltern selbst einmal Kleinkinder und Neugeborene waren, auch sie haben die gleichen Phasen durchlebt. Auch bei ihnen prasselten Eindrücke von positiver und negativer Natur auf sie ein und formten sie vom Original zur Kopie. Es ist also ein Kreislauf, in dem wir uns befinden. Als Original zeigen wir eine gewisse Aktion, erhalten dazu Ablehnung in Form von Wut oder Enttäuschung, haben das Gefühl, dass uns die Grundbedürfnisse wie beispielsweise das Gefühl des Umsorgt Seins entzogen wird und erlernen daraufhin andere Verhaltensweisen, die uns gleichzeitig zur elterlichen Kopie machen. Eine Anpassung ist geschehen. Und genau dieses Prinzip geben wir – oft unbewusst – an unsere Kinder weiter.

Psychische Gewalt als Mittel zum Zweck? Das Österreichische Bundesministerium hat eine Auflistung verfasst (hier als Auszug zu lesen), die beispielhaft aufzeigen soll, wie psychische Gewalt an Kindern aussieht. Das Komplexe an der Thematik ist, dass psychische Gewalt in den meisten Fällen ohne eine böse Absicht dahinter angewendet wird, sondern sie „passiert” einfach oder wird verharmlost als „Erziehungsmaßnahme” verstanden.

  • beängstigende Handlungen, Überforderung, vermittelte Wertlosigkeit, psychische / körperliche Entwicklung wird beeinträchtigt

  • Druck der Gesellschaft wird von den Eltern auf das Kind übertragen

  • gut gemeinte Hilfsangebote (vermitteln dem Kind das Gefühl, sinnlos zu sein, nichts zu schaffen)

  • Dynamik von „zu viel” / „zu wenig” liegt vor (Bedürfnisse des Kindes sind „nicht angebracht”)

  • das Kind darf oder kann in schwierigen, verwirrenden Momenten und Erfahrungen nicht zu Wort [3]

Zu Kommunikationsproblemen zwischen Kind und Eltern kann es auch dann kommen, weil die Eltern oftmals nicht wissen, dass Kinder in der Regel keinen Perspektivenwechsel vor Erreichen des 4. Lebensjahres umsetzen können. Die Gefühlswelt der Eltern ist für das Kind erst unverständlich, weil es nur seine Sichtweise nachvollziehen kann. Wenn Mama oder Papa dann laut werden und Wut als Reaktion auf eine Handlung äußern, kann das Kind kein Verständnis dafür aufbringen, es wird lediglich eingeschüchtert.

Nachweislich neigen Jugendliche öfter zu Depressionen, wenn sie von ihren Eltern wiederkehrend angeschrien, beleidigt oder erniedrigt wurden. Außerdem stehlen und lügen sie mehr und zeigen ein erhöhtes Aggressionspotential.[4] Anhand dieser Tatsache sieht man, wie weit vermeintliche „Erziehungsmaßnahmen” die Struktur des Erlebens und der Gefühle des Kindes negativ verändern können. Entwicklung von Strategien Um die negativen Erfahrungen, die Angst, Schrecken, Panik und Unwohlsein hervorrufen, zu blockieren, richtet das Kind nun seinen Fokus auf die Anpassung aus, um solche Gefühle in der Zukunft nicht mehr erleben zu müssen. Um also die Bindung zu den Eltern zu erreichen, entwickelt das Kind Strategien, die ihm die elterliche Aufmerksamkeit, Liebe, Anerkennung oder Sorge bescheren. Diese Strategien beinhalten ein gewisses Verhalten, worauf die Eltern oder Bezugspersonen dann anspringen. Ein paar Beispiele:

● Lieb sein (Kind bindet sich durch Anpassung)

● Böse sein ( Kind bindet sich durch Opposition)

● Leistung bringen (Kind bindet sich über Anerkennung)

● Krank sein (Kind bindet sich durch Sorge der Eltern)

● Essverhalten ( Kind bindet sich ebenfalls durch Sorge der Eltern)

Durch jede der beispielhaften Strategien bekommt das Kind die Aufmerksamkeit der Eltern geschenkt, was sein Grundbedürfnis, von jemandem umsorgt zu werden, erfüllt. Das „Kern-Ich-Modell” vom Anfang wurde verdrängt, aber nicht vollkommen. Es wird weiterhin Signale senden, die immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen mit dem „Ich-Modell” der Eltern führen werden, denn das Verständnis für das Original wurde bereits verlernt - sowohl vom Kind, als auch von den Eltern.

Ein dauerhaftes Missverständnis als Grundbasis muss aber nicht sein. Es gibt Wege, die Kette zu unterbrechen und neue Sichtweisen auf Situationen, die uns alltäglich begegnen, zu erarbeiten.


Fortsetzung folgt...

[1] Textor, M.R. 2010, Gehirnentwicklung im Kleinkindalter - Konsequenzen für die frühkindliche Bildung, https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/psychologie/779

[3] Ergebnisse zweier Enqueten des Familienministeriums zum Thema Psychische Gewalt am Kind, BMSG (Hg.), Wien 2000), (https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/formen/psychisch/psychische_gewalt_kind.php



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